Exkurs:
Experimentelle Lebenswelten für Hühner
Ausführungen von Henne Gertraud zu ihrem neuesten Projekt
Meine Aktivitäten im Hennenweb konzentrieren sich auf das Leben und die
Kultur eines Huhns. Im Moment arbeite ich daran, eine Umwelt- und Kulturbezogene
Schnittstelle zu entwerfen, innerhalb der das frischgeschlüpfte Huhn aufwachsen
wird. Dieses Huhn wird es nötig haben, andere Dinge zu wissen und zu können
als jedes andere Huhn zuvor. Es wird Entscheidungen über seine Umwelt treffen
müssen, ob es kommunizieren will oder nicht, ob es eine Identität haben
will. Dieses Huhn wird in relativer kultureller Isolation leben, weil es das erste
seiner Art ist. Die Menschen, die für das Huhn Sorge tragen, werden ebenfalls
die ersten ihrer Art sein.
Ich versuche also eine "Gedankenwelt" zu schaffen, innerhalb der das
Huhn während seines Erwachsenwerdens bestimmten Ideen und Konzepten begegnen
wird. Das, obwohl ich mir dessen bewusst bin, dass Hühner zwar erstaunlich
kluge Tiere sind, dass sie aber nur eine sehr eingeschränkte Wahrnehmung
ihres "Selbst" haben. Diese Einschränkung vorausschickend, ist
es dennoch mein Ziel, dass dieses Huhn schließlich verstehen soll, dass
es ein Huhn ist, dass es mit Menschen kommuniziert über das Internet in einem
Telerobotic Environment.
Dieses Huhn wird (ich weiß, ich benutze das Beispiel sehr oft) wie das
erste Menschenkind auf einer Marskolonie sein. Klar, es würden Leute da sein,
doch das würden alles "Wissenschaftler" mit einem "wissenschaftlichen
Wertekonzept" und mit einem bestimmten homogenen Hintergrund sein (so z.B.
werden sie alle Bälle werfen, wie es nur Mädchen tun, oder das Wort
"baseball" wird überhaupt verboten sein). Diese Leute würden
alle wissen, was es heißt, sich einem extremen und möglicherweise sogar
gefährlichen Projekt zu widmen. Ihre ureigenen Qualitäten und Eigenschaften
erzeugen erst die Umwelt, in die spätere Generationen dann hineingeboren
werden. Essentiellerweise würden sie eine Kultur schaffen, aufgeladen mit
Werten und Konzepten, ganz gleich welche Entscheidungen sie treffen. Damit nutzt
dieses Projekt das Internet wirklich als kulturellen Raum
Und hier noch eine Einlassung zum Thema Online-Kunst oder Web-Kunst, die natürlich
die Webmasterin besonders freut:
Leute, die Online-Kunst betrachten, bzw. nutzen, sollten die Tatsache nicht
ignorieren, dass diese Kunst in einer Umgebung existiert, die ein ganz besonderes
kulturelles Phänomen darstellt. Es gibt Werte und Sensibilitäten, die
ganz spezifisch für das Netz sind, Konzepte, die außerhalb der Netzumgebung
gar nicht bestehen könnten. Netzkunst funktioniert als netzartige Ausdrucksform
und erforscht sehr oft Ideengut, das einzigartig innerhalb der Netzkultur ist
und diese in allen Bereichen durchdringt.
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